Dr. Hugo Poth, Predigt in St. Alban, 27.06.1965
Thema: Mt 5,1-11 Makarismen, Armut I

Aus dem heiligen Evangelium nach Matthäus, 5. Kapitel, 1. bis 11. Vers:
„Als er aber die Volksscharen sah, stieg er auf den Berg. Und als er sich gesetzt hatte, traten seine Jünger zu ihm. Und er öffnete seinen Mund und lehrte sie: Selig die Armen im Geiste, denn ihrer ist das Himmelreich. Selig die Trauernden, denn sie werden getröstet werden. Selig die Sanftmütigen, denn sie werden das Land besitzen. Selig, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit, denn sie werden gesättigt werden. Selig die Barmherzigen, denn sie werden Barmherzigkeit erlangen. Selig, die reinen Herzens sind, denn sie werden Gott schauen. Selig die Friedensstifter, denn sie werden Söhne Gottes heißen. Selig, die verfolgt werden um der Gerechtigkeit Willen, denn ihrer ist das Himmelreich. Selig seid ihr, wenn sie euch schmähen und verfolgen, und euch alles Böse lügnerisch nachsagen um meinetwillen. Freuet euch und frohlocket, denn euer Lohn ist groß im Himmel.“
Soweit die heiligen Worte.

Im Namen des Vaters und des Sohnes und heiligen Geistes, Amen.

Die Bergpredigt, in deren Betrachtung wir heute eintreten wollen, und die uns viele Sonntage beschäftigen wird, ist das erste und gewichtigste Beispiel unter den großen Redekompositionen Jesu.
Bei Lukas heißt es im 6. Kapitel, 17. Vers, er habe auf einem ebenen Platz die Predigt gehalten. Ob nun Bergpredigt oder Feldpredigt, wir werden auch noch einige andere Unterschiede zwischen Matthäus und Lukas feststellen.

Der Evangelist hat die Redekomposition zusammengestellt, und sie hat eine geringere logische Geschlossenheit; sie handelt vom Vaterunser; es sind die Sprüche vom Sorgen und Schätze sammeln darin; und bei Lukas stehen sie im anderen Zusammenhang.
Die Bergpredigt gehört nicht an den Anfang, sondern in die spätere Zeit der galiläischen Lehrtätigkeit Jesu.

An wen ist sie gerichtet? so fragen wir. An die Jünger? Jünger, das sind alle, die den Ruf Jesu zur Nachfolge gehört haben und ihm folgen wollen. So lesen wir im 7. Kapitel, 28. Vers: Die Volksmassen staunten über die Predigt Jesu.

Das Portal der Bergpredigt gewissermaßen sind die Seligpreisungen, die wir eben hörten. Makarioi im Griechischen. Beati im Lateinischen. Selig sind im Deutschen, oder auch Heil euch.
Wenn wir die 3. Seligpreisung, Selig sind die Sanftmütigen, wegen ihrer unsicheren Bezeugung als unecht streichen, sind es sieben, wie es sieben Parabeln gibt in Kapitel 13, und die sieben Wehe in Kapitel 23.
Lukas hat nur vier Seligpreisungen: die Erste, die Vierte, die Zweite und die Neunte bei Matthäus. Ihr stehen bei Lukas vier Wehe gegenüber:
Wehe euch, ihr Reichen, ihr habt schon euren Trost!
Wehe euch, die ihr jetzt satt seid, ihr werdet hungern! Wehe euch, die ihr jetzt lacht, ihr werdet trauern und weinen! Wehe, wenn alle Menschen euch schmeicheln. Ihrer Väter haben es ja mit den falschen Propheten ebenso gemacht.

Bei Lukas tritt in den Seligpreisungen das soziale Element stärker in den Vordergrund, und das wird wohl ihrem ursprünglichen Sinn mehr entsprechen. Bei Matthäus heißt es nicht wie bei Lukas Selig die Armen, sondern die Armen im Geiste. Nicht die Hungernden werden selig gepriesen, sondern die nach Gerechtigkeit hungern und dürsten. Matthäus denkt bei der Gestaltung seines Textes nicht mehr an die ersten Zuhörer Jesu, sondern an die Gemeinde, für die er sein Evangelium schreibt. Darum vermehrt er auch die Zahl der Seligpreisungen durch einige Sprüche, die Jesus bei anderen Gelegenheiten gesprochen haben mag.
Die Seligpreisungen haben als Heilrufe ihre Vorbilder an vielen Stellen des alten Testamentes bei den Propheten, in den Weisheitsbüchern, in den Psalmen.

Der Sinn der Seligpreisungen ist nicht der, daß die in ihnen Genannten jetzt schon selig seien, sondern, daß sie zu preisen sind in Hinsicht auf das Kommende.
Die Armen im Geiste, diejenigen welche die Seele eines Armen besitzen ohne jeden sozial-revolutionären Beiklang.
Die Trauernden, die ergebungsvoll ihr Schicksal in Gottes Hand legen.
Die Hungernden; die vollkommende Gerechtigkeit, die volle Erfüllung des Willens Gottes ist ihnen Erstes und Letztes.
Die Barmherzigen; Jesus wendet sich gegen den jüdischen Lohngedanken. Keinen Rechtsanspruch haben die Menschen bei Gott, sondern nur Gnade ist das, was er ihnen schenkt. Die Herzensreinheit, nicht die sittliche Reinheit im Allgemeinen, noch speziell die Keuschheit, sondern die Geradheit und Aufrichtigkeit: die ungeteilte Hingabe an Gott. Nur der Reine kann sich Gott nahen, ist ein Grundgedanke aller Religionen. Wir wissen, welche Bedeutung die kultische Reinheit in den Mysterien-Religionen gespielt hat, im alttestamentlichen und jüdischen Denken. Jesus stellt den Unterschied heraus zu den Rabbinern, die äußerliche und Herzensreinheit zugleich als notwenig erklärten. Jesus verwirft die äußerliche Reinheit als bedeutungslos.
Die Friedenstifter; sie wirken ausgleichend bei den die Menschen trennenden Gegensätzen.
Die Verfolgten, die um Jesu und um des Reiches Gottes willen Pein und Mühe und Unfreiheit und sogar den Tod auf sich nehmen.

Die Seligpreisungen verheißen nicht gewissen Menschenklassen das Heil, sondern bestimmten religiös sittlichen Haltungen. Sie bedeuten eine radikale Umkehrung der menschlichen Wertmaßstäbe. Alle Seligpreisungen sind darum in Hinsicht auf das Kommende, auf die Vollendung oder, wie die Theologen sagen, eschatologisch zu verstehen. Es fehlt ihnen darum jedes Ressentiment gegen die Reichen, die Mächtigen, die Glücklichen im Sinne der Welt. Sie sind ein Protest gegen die pharisäische Frömmigkeit, die im irdischen Glück Gottes Segen und im Unglück eine Strafe Gottes sah. Denn nach der rabbinischen Theologie gehören gerade die Armen, Trauernden, Verfolgten nicht zu den Anwärtern des ewigen Lebens, denn sie waren durch ihre Leiden als Sünder gekennzeichnet.

Im Grunde sind alle Seligpreisungen in der ersten enthalten: Selig die Armen.
Ein Bischof aus Neu-Guinea sagte am 27. Oktober 1964 auf dem Konzil: Die Kirche muß sich als arm definieren. Sie muß uns befreien von dem Hauch der Demagogie. Sie muß sich als Kirche der Armut nicht nur mit Worten oder durch die Vereinfachung ihres Aussehens sondern durch die Taten zeigen.
Jean Didon, einer der Laienhörer: Die Kirche muß aufhören, den Eindruck einer Kirche der Besitzenden vor allem gegenüber einer mehr und mehr enterbten Welt zu erwecken.
Im marxistischen Universum wird sie folgendermaßen beschrieben: 20 Millionen reiche Weiße, das Evangelium in der Hand, vor einer Milliarde Armer.
Rudolf Bultmann, der viel umstrittene evangelische Theologe, sagt: Die Bergpredigt fordert Unmögliches, und sie zur Norm des innerweltlichen Handelns machen, bedeutet deshalb nicht nur etwas Aussichtsloses zu tun, sondern ihren Charakter als Skandalon, als Ärgernis verkennen.

Wir wollen an den folgenden Sonntagen, meine Zuhörer, die einzelnen Verse der Bergpredigt uns näher anschauen, und wollen uns fragen: Was hat Jesus damals sagen wollen? Was hat die christliche Gemeinde verkündigt? Was hat der Schreiber des Evangeliums aus dieser Verkündigung in der christlichen Gemeinde uns überliefert? Und was sagt uns schließlich das Wort Jesu, wie es niedergelegt ist in diesen drei Kapiteln bei Matthäus, heute?
Wir werden sehen, wieviel das Wort Gottes uns sagt, auch wenn wir immer wieder erfahren werden, welches Ärgernis das Wort Jesu bedeutet in einer Zeit, die das Hören auf das Wort Gottes verlernt hat, und die sich ihre eigenen Maßstäbe gebildet hat.
Wenn wir aber das sind, was wir sein sollen, Volk Gottes, und hinzugehen mit unserem Herrn Jesus Christus, dem Unsichtbaren, auf den wiederkommenden Herrn Jesus Christus, den Sichtbaren, an seinem Tage, dann können wir das nur, wenn wir sein Wort, wie es in der Bergpredigt von Matthäus und Lukas zusammengefaßt ist, beachten und in unserem Leben fruchtbar machen.
Amen.

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes, Amen.